Meine Liebeserklärungen sind Texte "aus Spaß an der Freud". Ursprünglich waren es Aufwärmübungen vor dem Schreibstart, nachdem ich aber so viele positive Rückmeldungen erhalten habe, kommen diese Hommagen an Dinge, dich ich wirklich und aufrichtig schätze, nun in unterschiedlich regelmäßigen Abständen auf Instagram und auch hier.
Die Avocado und ich – eine Liebesgeschichte, aber
eine durchaus problematische. Ich habe mich verliebt, mich von ihr getrennt, habe lange Zeit ohne sie verbracht. Inzwischen sehen wir uns wieder - ab und zu.
Natürlich liebe ich sie immer noch. Wegen Ihres
Geschmacks, wegen Ihrer Farbe, Ihres Schmelzes, aber vor allem wegen der Erinnerungen, die uns verbinden.
Angefangen hat unsere Liebe Mitte der 90er. Sie
war in Deutschland noch recht unbekannt. Damals jobbte mein Lieblingskumpel in einem mexikanischen Lokal in der fränkischen Provinz. Eines Abends tauchten zwei Handvoll Amerikaner auftauchten.
Keine Touristen oder Army-Angehörige, nein, Schauspieler, genauer Musicaldarsteller, die das Beste des Broadway nach Europa brachten, so auch nach Bayreuth, wo mein Freund Daiquiris mixte und
Tortillas servierte. Sie waren angetan von dem jungen Mann, seinen Englischkenntnissen und seinem Humor. Er war angetan, dass die große weite Schauspiel-Welt bei ihm Chili aß. Am nächsten Abend
waren sie wieder da und weil Carl nicht umsonst Liebling im Kumpel trägt, waren eine gemeinsame Freundin und ich ebenfalls am Start. Wir hinterließen einen bleibenden Eindruck und die Amerikaner
Freikarten für ihr nächste Show in Nürnberg.
Wie ungewöhnlich dies war, konnte man an der
Reaktion der Eltern unserer Freundin ablesen. Die verboten ihr nämlich schlichtweg die Fahrt nach Nürnberg. In deren Phantasie kamen tourende Musicaldarsteller gleich nach oder vielleicht sogar
vor den Leuten, nach denen in Akte XY gefahndet wurde .
Zu viert, glücklicherweise hatte meine Freundin
Anja schon damals ihre Abenteuerlust entdeckt, fuhren wir nach Nürnberg, wo nach der Show und vor unserem Clubbesuch die Liebesgeschichte ihren Anfang nahm , um die es hier eigentlich geht. Beim
Wir-machen-uns-Ausgehfertig-Stop der Amerikaner im Hotel brachte eine der Schauspielerinnen plötzlich sie mit ins Hotelzimmer.
Diese Diese birnenförmige, grüne Frucht, die sie in einer Plastikschüssel zermanschte und mit Tomaten und Zwiebeln vermengte (Wohlgemerkt mit Zwiebeln und Tomaten, die sie - wie skandalös - AUF dem Hotelschreibtisch MIT scharfem Messer OHNE Unterlage schnitt– der Vater meiner Freundin hatte es also vorausgesehen, das waren Leute von der ganz schlimmen Sorte). Diese kriminelle Aktion brachte eine Creme hervor, deren Namen ich nicht verstand und den ich mir deswegen auch nicht merken konnte und von der jeder nur zweieinhalb Tortillachips voll bekam.
Aber diese grüne Masse auf salzigen Chip war für
mich das göttlichste, was ich bis dahin in meinen Leben gegessen hatte. Bestimmt war es auch die „mit verruchten-Leuten-im Hotel-Erfahrung“, die dieses Geschmackserlebnis so unglaublich machten.
Verrucht waren sie ja nur in der de Phantasie von des Vaters, aber das reichte eigentlich schon. Dies kombiniert mit der Nach-Abi-vor-Studiums-die- Welt-gehört-mir-Stimmung und einem Club-Abend
in Nürnberg mit Leuten aus New York. Mitte der 90er war das unglaublich.
(Ein bisschen verrucht wurde es im Club dann doch,
denn eines der wenigen Körperteile, von denen unsere neuen Bekannten das Salz für ihren Tortilla nicht gegenseitig abschleckten, war der Handrücken. - Keine Sorge, sittenwidrig waren die
Körperteile auch nicht, aber die Trinkrituale sorgten zumindest auch im urbanen Nürnberg für befremdetes Starren der anderen Clubbesucher. Wir fanden es großartig. Tja, und seitdem liebe ich
Avocados. Ich war so verknallt und berauscht, dass vor der nächsten Feier bei meinem Kumpel 20 Kilometer in die Kaufhof-Feinkostabteilung in der Kreisstadt fuhr, weil das der einzige Ort war, wo
man damals für viel Geld (wenn man fast noch Schülerin ist) Avocados erstehen konnte Seitdem hast sie mich begleitet, die grüne Beere mit dem internationalen Flair. Bis ich eines Tages dahinterkam, dass ich mich mit einer
ziemlichen Verschwenderin eingelassen hatte. 1000 Liter Wasser beanspruchte sie für ihre Schönheit (na gut, die teilte sie sich mit eineinhalb Freundinnen) , aber das tat und tut sie vor allem in
Gegenden, in den das Wasser rar ist und die Bevölkerung häufig ohne Wasseranschluss lebt, während Frau A. samt Entourage in der Ressource schwelgt. Sie verursacht Ernteausfälle, stellt die
Nahrungsmittelversorgung in den Produktionsländern auf den Kopf und reist nur Erster Klasse über den Ozean - im Container mit Temperaturkontrolle.
Das war der Punkt, an dem ich mich trennen musste.
Leicht gefallen ist es mir nicht und immer wieder bin ich im Supermarkt, wo sie nun problemlos und auch günstig erhältlich ist, um sie herumgeschlichen. Sehnsüchtig, voller Erinnerung an
gemeinsame Abenteuer. Aber ich bin standhaft geblieben, eine solche Verschwendung konnte ich nicht unterstützen. Nachhaltigkeit, Natürlichkeit, Regionalität interessieren sie nicht – leider nach
wie vor nicht. Ist ihr Familienname - oder zumindest derjenige der Marktführerin - eigentlich deswegen ‚Hass‘?
Aber dann fand ich ihn. Den Ausweg für uns beide.
In der Dominikanischen Republik wächst sie die Tropical Avocado (klingt auch netter als ‚Hass‘), ohne den Leuten das Wasser zu rauben. Da scheinst sie sich recht ordentlich zu machen (nicht
völlig ohne Probleme – leider), aber so, dass wir uns ab und zu wieder auf einen Toast oder eine Guacamole sehen können. Mein geliebtes Luxuswesen und ich.
Ich liebe Gewürze. Vor allem Pfeffer hat es mir
angetan - aus der Mühle oder in ganzen Körnern, im Käse, in der Sauce, auf einem Flammkuchen. Wenn Pfefferkörner drin oder drauf sind, bin ich dabei. Pfeffer ist mein Gewürz.
Aber nicht er alleine. Auch Paprika oder
Currymischungen haben es mir angetan, deswegen pilgere ich auch im Urlaub immer über Märkte und in Gewürzgeschäfte und nehme mir irgendwelche Döschen mit nach Hause. In Irland packe ich immer die
Cajun-Gewürzmischung aus dem Supermarkt. (Ich weiß, dass das überhaupt nicht zusammenpasst, aber die ist der Wahnsinn!). Der BBQ-Rub aus Neu-England wird das nächste Mal zwischen Socken und
T-Shirts auch wieder seinen Weg nach Deutschland finden. Mein momentaner Favorit ist „Everything Bagel“. Das habe ich mir nicht selbst gekauft, das hat mir ein Kumpel mitgebracht. Jetzt liebe ich
Bagels zwar über alles, aber die Gelegenheiten, zu denen ich bisher Bagel gebacken habe, sind eher begrenzt. „Waren nicht vorhanden“ trifft es wohl eher. Wie gut, dass mein Kumpel mir damals
mitgegeben hat, dass es mehr auf das „Everything“ und nicht so sehr auf das „Bagel“ ankommt. Und er hat so recht: Ich könnte diese Mischung tonnenweise und „every day“ über wirklich „everything“
kippen. Dass ich das nicht tue, hat andere Gründe.
Jedes Mal, wenn ich den Gewürzschrank öffne und
meine Souvenirgewürze sehe, hebe ich kurz ab und lande – wenn auch nur in meiner Phantasie – mitten in London, in Irland oder ganz woanders. Der Blick auf die Gewürze erfüllt meinen Alltag
ungeplant mit einem Funken Extrafreude und diese will ich mir bewahren, weshalb eben nur „Sometimes Bagel“ ist.
Zweimal im Jahr, im Frühjahr und im Herbst packt sie mich, die Unruhe. Und dann muss ich los, mit Zug oder mit dem Auto. Dann brauche ich Menschenmengen, Messehallen, Bücherstapel, Lesungen, Talks. Ich will mich treiben lassen, Bekanntes aufsuchen und Neues entdecken.
In Leipzig (die Messe mit der Autoanfahrt) pilgere ich über die weitläufigen Parkplätze zur Messehalle. Vorbei an Cosplayern, die Sensen- und Hellebardenschulternd, Perücken zurechtrückend und Makeup auffrischend, die Ähnlich- und Andersgekleidete begutachten, vorbei an den Bussen der Buchhandlungen und Stadtbibliotheken, die die Buchbegeisterten aus allen Richtungen nahe an den Buchhimmel gekarrt haben. Gemeinsam strömen wir dann sicherheitskontrolliert in die Hallen. Leipzig empfinde ich immer als etwas kuscheliger und gemütlicher als Frankfurt. Man kommt schneller von A nach B oder C. Leipzig ist für mich Anfangsfaszination und Workshopnostalgie. Mit einer Handvoll Autoren saß ich vor wenigen Jahren im Seminarraum vor der Godmother of Lektorat, die mit uns die Geheimnisse des erfolgreichen Storytellings teilte. Hier habe ich zum ersten Mal meinen Roman am Stand besuchen dürfen. Leipzig ist Pizza auf Papptellern in Glashalle. Leipzig ist, sich mit einer Freundin zu wildfremden Menschen auf eine Bierbank quetschen (das hat man wirklich mal gemacht!), um danach unseren Nach-Essens-Messebesuch zu planen: Talk oder Life-Hörspiel, blaues Sofa oder rote Leselounge.
Frankfurt habe ich zum ersten Mal als Schülerin der Oberstufe betreten und ich bin meinen Lehrern unendlich dankbar, dass sie uns Provinzgymnasiasten damals in einen Bus gepackt nach Hessen gekarrt und durch das Goethehaus geschleift haben. Die Buchmesse danach verließen viele Mitschüler nachdem sie die Hallen auf der Suche nach dem Ausgang einmal durchquert hatten. Meine Freundin und mich haben sie festgezaubert. Die Geschichtenerzähler, die Buchmenschen, die Atmosphäre, die große weite Welt gepackt in ein paar Hallen. Bücher habe ich verschlungen, Texte aber nur zwangsweise ausgespien, wenn ich darlegen sollte, inwiefern sich das Abendmotiv bei Claudius von dem bei Gryphius unterscheidet. Von der Wahrsagerin, die mir „Einmal Liebe zum Mittnehmen“-Stapel am Messestand von @blanvalet prophezeit hätte, hätte ich mein Taschengeld zurückverlangt. Die Faszination ist geblieben. Statt mit dem Bus komme ich mit dem Zug. Tagelang könnte ich durch die Hallen pilgern und schaue, und reden und zuhören und staunen. Mich auf Kolleginnen freuen und Messecappuccino trinken, Fotoboxerinnerungen knipsen lassen und einen Thank-God-It’s-Friday-Beutel abstauben. Mich an der Toilettenschlange anstellen, die schmerzenden Füße ignorieren und mich am Schluss auf mein traditionelles Thai-Curry hinter dem P&C freuen.
Ich hoffe, dass das bald wieder geht. 2022. Mit neuem Buch. Und alter Messe-Liebe. Und mit euch, ihr lieben anderen Buchentdecker.